„Nachhaltige Intensivierung“ – was ist das?
2009 publizierte die Royal Society, London, ein Grundsatzpapier zu den Herausforderungen für die globale Agrar- und Ernährungsforschung der kommenden Jahrzehnte1. Das Papier betont die Bedeutung des weltweiten freien Handels von Agrarrohstoffen zur globalen Wohlfahrtsstiftung und hebt dabei als Grundsatz der Umweltverträglichkeit der agrarischen Produktion den Begriff der „Ökoeffizienz“ (eco-efficiency) besonders hervor. Bestimmte Agrarrohstoffe sollten weltweit dort und jeweils in der Intensität erzeugt werden, wo dies mit den geringsten negativen externen (ökologischen) Effekten je Produkteinheit realisiert werden kann. Negative ökologische Effekte beinhalten insbesondere eine Beeinträchtigung der Biodiversitätsfunktion, der Wasserschutz- und der Klimaschutzfunktion. Daraus resultiert, dass neben den bisher geltenden betriebswirtschaftlichen Kennwerten, entsprechende Kennwerte für Umwelteffekte der Produktion weltweit generiert werden. Eine standardisierte Bewertungsmethodik vorausgesetzt, kann so der ökologische Fußabdruck für jedes relevante Produkt erstellt und bewertet werden.
Das Grundsatzpapier rief natürlich sofort unterschiedliche Reaktionen hervor, die sich vereinfacht dargestellt in zwei extremen Auslegungen darstellen lassen.
- Der „agrarindustrielle Komplex“ sieht in der Sicherung der Welternährung eine ethisch gebotene Herausforderung, die eine gesteigerte „Intensivierung“ der Produktion rechtfertigt, um den Bedarf an Nahrungsmitteln und Agrarrohstoffen zu decken.
- Die NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) und Ökoverbände interpretieren hingegen das Konzept dahin gehend, dass „Nachhaltigkeit“ nur durch ökologischen Landbau zu erreichen sei, da nur diese Landnutzungsform in der Lage sei, Ökosystemfunktionen für zukünftige Generationen ebenso zu sichern wie die globale Verteilungsgerechtigkeit.
Beide Sichtweisen sprechen aber jeweils nur einen Teil des Konzeptes der nachhaltigen Intensivierung an.
Arbeitet die deutsche Agrarwirtschaft im Sinne einer nachhaltigen Intensivierung?
Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Teilfragen zu klären:
- Wie steht es mit dem Produktivitätszuwachs und der Umsetzung züchterischen Fortschritts, wie hoch ist also die Ertragssteigerung?
- Wie steht es mit der Umsetzung der Umweltziele für den Agrarsektor?
1. Wie steht es mit dem Produktivitätszuwachs und der Umsetzung züchterischen Fortschritts, wie hoch ist also die Ertragssteigerung?
Seit den 1960er Jahren bis zur Jahrhundertwende waren in Deutschland für die wichtigste Getreideart Winterweizen nahezu lineare Ertragszuwächse von etwa 2 % pro Jahr statistisch abzusichern. Etwa seit dem Jahr 2000 bis 2013 ist dieser Trend zum Erliegen gekommen. Erst das Höchstertragsjahr 2014 sichert erstmals seit 14 Jahren wieder einen leicht positiven Ertragstrend statistisch ab.
Liegt dies am mangelndem Zuchtfortschritt oder mangelnder Umsetzung des Zuchtfortschritts in der Praxis? Eine jüngst publizierte Arbeit der Hohenheimer Kollegen um Friedrich Laidig zeigt, dass für die meisten landwirtschaftlichen Kulturarten auf der Datenbasis der Bundessortenprüfungen der vergangenen 30 Jahre nach wie vor ein signifikanter Zuchtfortschritt zu belegen ist, dieser jedoch seit mehr als 15 Jahren weder bei Winterweizen noch bei Mais in der Praxis umgesetzt wird. Der sogenannte „yield gap“, also die Lücke zwischen Ertragspotenzial und tatsächlich realisiertem Ertrag, nimmt also dort zu. Nur bei Zuckerrüben und Raps kommen Ertragssteigerungen über 1 % pro Jahr auf den Feldern an. Offensichtlich werden also Maßnahmen der guten fachlichen Praxis des Ackerbaus nicht mehr ausreichend in der Praxis umgesetzt. Dies wäre u. U. im Sinne einer hohen Ökoeffizienz verkraftbar: Hätte man also im gleichen Zeitraum das Konzept „Ertragsniveau halten – Umweltbelastungen senken“ im Rahmen von cross compliance konsequent umgesetzt, die Umweltbelastungen also deutlich gesunken wären. Dies ist aber leider nicht so!
2. Wie steht es mit der Umsetzung der Umweltziele für den Agrarsektor?
Die deutsche Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2002 Zielwerte formuliert, die der Umsetzung des Biodiversitäts-, Wasser- und Klimaschutzes dienen. Die Landwirtschaft betreffend sind dies insbesondere folgende Ziele:
- Die Senkung der nationalen Stickstoffsalden auf einen Zielwert von maximal +80 kg/ha N bis zum Jahr 2010
- Die Erfüllung der EU-Wasserrahmenrichtlinie „guter chemischer und ökologischer Zustand der Gewässer“ bis zum Jahr 2015 bzw. die Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie zur Reduktion der Eutrophierung aquatischer Ökosysteme.
- Die Umsetzung der Biodiversitätskonvention mit einem Zielwert von 19 % „high nature value (HNV) Flächen“ bis zum Jahr 2015, das heißt, eine entsprechende Ausweitung ökologischer Vorrangflächen.
- Klimaschutz: Direkt sind bisher keine fixen Werte für den Agrarsektor bezüglich des kompletten Bereichs der Klima relevanten Gase formuliert, lediglich die NEC-Richtlinie regelt die maximal zu tolerierenden Ammoniakemissionen auf nationaler Ebene. Diese sollen einen Wert von 550 kt/Jahr für Deutschland im Jahr 2010 nicht überschreiten.
Tatsächlich wurden bzw. werden die ersten drei Ziele höchstwahrscheinlich nicht erreicht. Die nationalen N-Salden sind in den Jahren nach der Wiedervereinigung in Folge der Viehabstockung in den neuen Bundesländern zwar deutlich gesunken, verharren jedoch seit etwa 10 Jahren auf einem Niveau von etwa + 100 kg N/ha/Jahr (Abb. 1), ohne dass der Zielwert von + 80 kg/ha N/Jahr auch nur annähernd erreicht worden wäre. Der aktuelle Nitratbericht für Deutschland weist darüber hinaus aus, dass auch die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie vermutlich nicht erreicht werden. Zudem verschärfen sich die Unterschiede zwischen viehschwachen Regionen mit sinkenden Nitratwerten im oberflächennahen Grundwasser und viehstarken Regionen, wo diese Werte deutlich ansteigen.
Das Nicht-Erreichen der Ziele hat dazu geführt, dass die EU zum einen hinsichtlich der nicht eingehaltenen Nitratrichtlinie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat. Zum anderen werden auch wegen einer nicht ausreichenden Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie entsprechende rechtliche Schritte prüft. Und schließlich ist der Zielwert der NEC-Richtlinie zwar erstmals im Jahr 2010 im Zielbereich von 550 kt/Jahr angelangt, aber dennoch nicht nachhaltig umgesetzt.
Deutschland ist somit derzeit nicht bzw. wenn überhaupt auf einem sehr langsamen Wege zu einer nachhaltigen Intensivierung.
Bringt Novellierung der Düngeverordnung Verbesserung?
Im November 2012 legte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung des Thünen-Instituts in Braunschweig eine Evaluierung der Düngeverordnung und Optionen zu deren Weiterentwicklung vor. Die Arbeitsgruppe hält die geltenden Regelungen für nicht ausreichend und schlägt Änderungen besonders bei der Erfassung der Nährstoffvergleiche, der Sperrfristen, Lagerkapazitäten und der Ausbringung von organischen Düngern vor. Seitdem sind die Vorschläge in der politischen Diskussion und stehen im Dezember 2015 kurz vor der Beschlussfassung.
Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint insbesondere der Einstieg in die Hoftorbilanzierung für Stickstoff und Phosphor essenziell, um eine solide und verlässliche Datenverfügbarkeit zu gewährleisten und diese mit entsprechenden Kontroll- und Sanktionsmechanismen zu kombinieren.
Dies geschieht nicht, um die Landwirtschaft noch mehr zu bürokratisieren, sondern um die weniger guten Landwirte zu motivieren, den Umweltstandard zu erreichen, den die guten Landwirte längst erreicht haben.
Fazit Die Umsetzung dieser Maßnahmen in der DüV im Sinne einer nachhaltigen Intensivierung ist im Interesse der Landwirte notwendig, denn im nächsten Jahr wird der nächste Nitratbericht für Deutschland publiziert. Und dann heißt es: Nach der Novellierung der DüV ist vor der Novellierung – wenn die Richtung der Qualitätsveränderungen in Grund- und Oberflächengewässern nicht stimmt! |
1 „Reaping the benefits: Science and the sustainable intensification of global agriculture“