Sind Sie überrascht von den Zulassungsergebnissen, oder war die Zulassung dieser Sorten sicher abzusehen?
Kontowski: Zu Beginn der Wertprüfung nicht, aber dann schälten sich mit jedem weiteren Prüfjahr die Gewinner doch deutlich heraus. Schauen wir uns doch die Jahre an: Im ersten Prüfjahr 2014 war der Winter ausgesprochen mild und trocken, die Vegetation setzte deutlich früher als üblich ein, es kam zu sehr starken Gelbrostinfektionen. Auch das Prüfjahr 2015 war wieder ‚englisch‘: wenig Kälte im Winter, wieder ein deutlich früherer Vegetationsbeginn, wieder ein von Gelbrost geprägtes Jahr. ‚Englisch‘ war in den meisten Regionen auch das dritte Wertprüfungsjahr, doch kam der Krankheitsdruck später.
Kirchhoff: So ist es kein Wunder, dass vor allem sehr blattgesunde Stämme das Rennen machten und aufrückten. Achim und Chiron waren durch ihre lückenlose Resistenzausstattung gegen Mehltau, Gelbrost, Braunrost und Blattseptoria sehr gut geschützt (s. Abb. 1). Das bestätigte sich mit sehr hohen Vergleichserträgen insbesondere in der unbehandelten Anbaustufe.
Sie sprechen über den Ertrag in Stufe 1. Ist der denn für die Praxis überhaupt relevant?
Kontowski: Die Ertragsleistung in der unbehandelten Stufe ist für die Praxis auch so etwas wie eine Risikoversicherung. Denken wir doch nur an die in den letzten Jahren zu beobachtende Frühjahrswitterung mit erhöhtem Krankheitsdruck. Beim Anbau sehr gesunder Sorten wird der Landwirt eine oder sogar zwei Fungizidmaßnahmen sparen können, insbesondere die erste Behandlung. Außerdem: Wo kein Fungizideinsatz, da keine weitere Resistenzbildung der Schaderreger gegen den entsprechenden Wirkstoff! Derartig gesunde Sorten sind zukunftsrelevant: Mit ihnen kann man aktiv weitere Resistenzbildungen und Restriktionen im Bereich der Pflanzenschutzmittel begegnen.
Drei milde Winter – bleibt da nicht die Winterfestigkeit auf der Strecke?
Kirchhoff: Keineswegs, wir haben ja bereits davor in unseren Hauptprüfungen auf Winterhärte selektiert. Sowohl 2012 wie auch 2013 gab es ausgangs Winter beträchtliche Kälterückschläge, noch mehr Stress hatten wir in Osteuropa. Diese Ergebnisse haben wir berücksichtigt und konnten so sehr robustes Material anmelden. Vereinzelt traten auch im Wertprüfungsjahr 2015 im Nordosten Auswinterungen auf, die Chiron und Achim auf bzw. über „Julius-Niveau“ problemlos überstanden. Mit einer züchterinternen Einstufung der Auswinterungseignung von 3 (–4) für Chiron und einer sehr guten 3 bei Achim sind beide Sorten auch für harte Winter gerüstet.
Vermutlich haben die Sorten nicht nur Vorteile, gibt es auch irgendwelche Haken?!
Kontowski: Ich würde statt von Haken lieber von „Besonderheiten“ sprechen. Achim ist ein eher kürzerer Typ mit mittlerem bis spätem Ährenschieben und ebensolcher Abreife. Dieser Pflanzentyp leidet gelegentlich unter den Prüfbedingungen: Der Halm ist noch weich, wenn andere Sorten sich ‚anlehnen‘, außerdem kann er als kürzerer Typ leicht von wuchtigen Nachbarn unterdrückt werden, auch die Lageranfälligkeit „6“ kann dadurch teilweise erklärt werden. Solche Nachbarschaftseffekte entfallen in der Praxis, zudem kann der Landwirt dort die Sorten ja individuell behandeln.
Kirchhoff: Bei Chiron ist bislang keine direkte Schwäche bekannt. Die vertriebliche Herausforderung ist eher die Ertragseinstufung „6“ in der behandelten Anbaustufe, unbehandelt hat er ja die „8“. Auf dem Ertragsniveau „6“ gibt es bereits eine ganze Reihe weiterer Sorten, auch marktbedeutende. Der Vorteil von Chiron ist seine Kombination aus Ertrag, mittelfrüher Reife und bester Fusariumtoleranz. Das war auch ein entscheidendes Argument bei den Sortenverhandlungen mit dem Bundessortenamt. Ertrag ist immer in Zusammenhang mit anderen Merkmalen zu bewerten! Zu der Ertragsleistung kommen die Winterhärte, der gute Proteingehalt und die Blattgesundheit.
Stichwort Fusarium, warum züchten Sie nicht direkt auf geringe DON-Werte, um die geht es doch am Ende?
Kirchhoff: Unsere Zuchtziele definieren sich immer durch die Anforderungen an ein Produkt – hier niedrige DON-Gehalte – und einer geeigneten Selektionsmethode. Wir selektieren zurzeit auf eine möglichst hohe Feldresistenz gegen Ährenfusarium als wichtigstem Toxinbildner bei Weizen. Leider gibt es bislang keine effiziente Möglichkeit, mit der notwendigen Genauigkeit direkt auf niedrige DON-Gehalte zu selektieren. So ist der Fehler der DON-Bestimmung größer als die Sortenunterschiede selbst und doppelt so hoch wie bei der Fusariumbonitur. Erhebungen aus den Landessortenversuchen und Praxisschlägen müssen diese methodischen Schwächen der DON-Sortenbewertung berücksichtigen. Dazu gehören Genotyp-Umwelt-Interaktionen – z.B. Standort- und Jahreseffekte – sowie das Stichprobenmanagement. Die gegenwärtige Datenlage erlaubt lediglich eine grobe und zum Teil fehlerbehaftete Einteilung der Sorten in drei Klassen, weitergehende Differenzierungen sind irreführend und können zu falschen Sortenentscheidungen führen.
Die Weizensorten werden gegenwärtig ja sehr intensiv im Hinblick auf ihre Stickstoffeffizienz diskutiert. Wie kann man Ihre Neuzulassungen hier einordnen?
Kontowski: Wir züchten nicht direkt auf hohe Stickstoffeffizienz, sondern selektieren sehr intensiv auf eine möglichst positive Kombination aus Kornertrag und Rohproteingehalt. Sorten, die diese Merkmale besser kombinieren, haben „automatisch“ einen höheren Kornstickstoffertrag und damit eine höhere Nährstoffeffizienz. Mit der Proteineinstufung „5“ und Kornertrag „7“ gehört Achim zu den N-effizientesten Sorten des Sortiments.
Kirchhoff: Und natürlich geht es bei der N-Effizienz neben Umweltaspekten auch um die Vermarktungsfähigkeit für unsere Landwirte. Wir haben diesbezüglich die Wertprüfungszahlen für Chiron analysiert, ebenfalls eingestuft mit Rohprotein „5“. Diese erreicht in den einzelnen Wertprüfungen in 68 % der Fälle Proteingehalte von mindestens 13 %. Bei der als Vergleichssorte mitgeprüften Sorte RGT Reform ist das lediglich in 38 % der Ernteproben der Fall. Auch die unterschiedlichen Vermarktungschancen sind zu bewerten, wenn man die Erträge der Sorten vergleicht.
Zwei neue A-Sorten, beide winterhart, gesund und proteinstark: Kannibalisieren die sich im Vertrieb nicht gegenseitig?
Kontowski: Die Produktmanager haben die Sorten sehr intensiv im Hinblick auf ihre Vermarktungschancen beleuchtet. Ihr Vermarktungspotenzial wird als ähnlich hoch eingeschätzt, jedoch mit unterschiedlicher Schwerpunktbildung. Achim steht 2017 bereits in allen Landessortenversuchen, wobei der Vertrieb vom Sortentyp her bundesweit eher die Hochertragslagen im Blick hat.
Kirchhoff: Chiron wird im Hinblick auf seine frühere Reife eher für die trockeneren Standorte und solche mit schneller Abreife empfohlen. Und im Hinblick auf die außergewöhnlich hohe Fusariumresistenz eher in Anbaulagen und Fruchtfolgen mit hohem Fusariumdruck. Dort erwarten wir allerdings eine hohe Marktdurchdringung.
Das Interview führte Sven Böse.