Hybridzüchtung als Schlüsseltechnologie
Der wirkungsvollste Weg zur züchterischen Verbesserung von Kulturpflanzen ist die Erzeugung von Hybriden. Hierzu werden genetisch unterschiedliche Pflanzenlinien („Elternlinien“) so miteinander gekreuzt, dass in der Nachkommenschaft (F1) verbesserte Eigenschaften auftreten. In den industrialisierten Ländern werden viele Fremdbefruchter wie z. B. Mais, Sonnenblumen, Karotten, Rüben und Zwiebeln sowie auch Selbstbefruchter wie Hirse und Raps mehrheitlich als Hybridkultivare angebaut. Auch Hybridformen des Weizens zeichnen sich im Vergleich zu Liniensorten durch verbesserte Erträge, Agronomie und Stressresistenz aus.
Hybridsysteme: Wie bringt man zusammen, was zusammengehört?
Um Hybriden kommerziell zu vermarkten, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Im Falle von selbstbefruchtenden, doppelgeschlechtlichen Pflanzen muss zum einen die Selbstbefruchtung der „Mutterlinie“ verhindert werden, um sicherzustellen, dass die Kreuzung nur mit dem erwünschten Bestäuber („Vaterlinie“) erfolgt. Des Weiteren muss es eine effektive Methode zur Vermehrung der sterilen Mutter geben und schließlich einen Mechanismus zur Wiederherstellung der Fertilität in den hybriden Nachkommen.
Der effizienteste Weg, die Eigenbestäubung einer Mutterlinie zu blockieren, ist die Verwendung männlicher Sterilität. Eine solche Kastration kann im einfachsten Fall durch das mechanische Entfernen der männlichen Blütenorgane (Antheren) erfolgen. In größerem Maßstab ist dies nur beim Mais durch das Abschneiden des im Scheitel der Pflanze befindlichen männlichen Blütenstandes praktikabel. Bei allen anderen bedeutenden Kulturpflanzen tritt die Selbstbefruchtung vor Öffnung der Blüten auf („Kleistogamie“). Vonseiten der Züchtungsunternehmen und Forschungseinrichtungen werden daher seit Langem Anstrengungen unternommen, um aus natürlichen genetischen Ressourcen Sterilitätssysteme zu entwickeln, die einen mechanischen Eingriff überflüssig machen. Bekanntestes Beispiel ist das Konzept der cytoplasmatisch-männlichen Sterilität (CMS). Auslöser der Sterilität sind hier mitochondriale Mutationen, die die Bildung funktionsfähigen Pollens verhindern. Dieser Effekt des Cytoplasmas kann durch bestimmte Kerngene („Restorer“) überwunden werden. CMS-Systeme sind allerdings nur dann praktikabel, wenn Sterilitäts- und Restaurationsgene in einer Art zur Verfügung stehen. Zudem ist die Überführung von CMS-Mutanten in selektierte Elternkomponenten zeitaufwendig und komplex. Das System ist somit relativ unflexibel. Während CMS in Mais, Raps, Reis, Roggen und Gerste erfolgreich eingesetzt wird, steht diese Technologie im Weizen bisher nicht zur Verfügung. Zwar sind transgene Hybridsysteme im Weizen verfügbar, restriktive gesetzliche Bestimmungen innerhalb der EU verwehren bisher jedoch den Einzug in die Zuchtpraxis. Alle im europäischen Markt registrierten Hybridweizensorten werden mithilfe eines chemischen Kastrationsreagenzes (Gametozid) erzeugt. Zur Saatgutproduktion werden der pollensterile „weibliche“ und der bestäubende „männliche“ Kreuzungspartner in alternierenden Streifen nebeneinander angebaut (s. Bild unten).
Vom überzeugten „Single“ zum „guten Partner“
Für eine erfolgreiche Hybridweizenzüchtung/-produktion braucht man Erbkomponenten mit bestimmten Merkmalen.
- Mütterliche Erbkomponenten, welche die (männliche) Sterilität zuverlässig ausbilden
- Väterliche Erbkomponenten, die über eine ausreichende Bestäuberleistung verfügen, um eine effektive Befruchtung zu gewährleisten.
Beide Eigenschaften sind in der gegenwärtig verfügbaren Weizengenetik kaum vorhanden. Bei der Nordsaat werden jährlich ca. 3.000 neue Linien auf ihre Elterneignung geprüft – nur etwa 50 davon werden als potenzielle Eltern ausgewählt. Die Identifikation geeigneter Eltern im Sinne der Produktionsfähigkeit ist aber nicht alles. Benötigt werden ferner Eltern mit hoher „Kombinationsfähigkeit“, d.h. Erbkomponenten, die bei Kombination in der Hybride überlegene Eigenschaften im Sinne des „landeskulturellen Wertes“ ausprägen.
Um geeignete Kombinationen zu identifizieren, werden in sog. „Crossing-Blöcken“ jährlich tausende Experimentalhybride hergestellt (s. Bild oben). Die so erhaltenen Prüfglieder werden in mehrjährigen Versuchen auf ihren landeskulturellen Wert hin untersucht. Nur wenige Kombinationen schaffen es bis zur amtlichen Zulassung. Die kommerzielle Saatgutproduktion erfolgt in Frankreich.
Unschlagbar unter Stressbedingungen
Die SAATEN-UNION führt „Produktionstechnische Versuche“ durch*: Durch angepasste Aussaatstärken, Saattermine und den Anbau an Stressstandorten wird den praxisüblichen Anbausystemen für Hybridsorten Rechnung getragen und eine spezifische Anbauempfehlung ermöglicht.
Die Fragestellungen umfassen drei Aussaatkonstellationen:
- „Stressvariante“: sehr frühe Mulchsaat zum Wintergerstentermin (schwierige Jugendentwicklung, hoher Krankheitsdruck) nach der Vorfrucht Winterweizen (geringe Vitalität)
- „Optimalvariante“: standortoptimaler Saattermin, nach der Vorfrucht Raps; gepflügt oder gegrubbert
- „Spätsaatvariante“: drei Wochen späterer Saattermin nach einer Blattfrucht plus Pflugfurche
Die drei Aussaatkonstellationen werden auf jeweils mindestens fünf deutschen und zusätzlich weiteren ausländischen Standorten geprüft. Hierbei zeigte sich in mehrjährigen Versuchen in der Stressvariante ein beeindruckender Ertragsvorteil der Hybriden im Vergleich zu den Liniensorten (Abb. 1). Zusätzlich bestätigen Erfahrungen aus der Praxis seit Jahren, dass Hybriden gerade an Standorten von Vorteil sind, die normalerweise überhaupt keine Weizenstandorte sind – weil zu leicht bzw. bei Frühsommertrockenheit zu trocken. Die höhere Wurzelmasse und die intensivere Durchwurzelung der Hybriden verbessern die Nährstoffverfügbarkeit und das Wasseraneignungsvermögen und führen so zu einer besseren Stressresistenz.
Spezifischer Anbau ist wichtig
Hybriden zeigen in der Praxis einen relativ geringen Ertragsabfall der Nebentriebe – die Einzelpflanze ist also leistungsfähiger. In der Praxis muss daher der Fokus auf die Leistung der Einzelpflanze und deren optimale Entwicklung gelegt werden. Neben sortenspezifischer Aussaatstärke ist auch eine spezielle Bestandesführung** notwendig.
Hyvento als erster A-Hybridweizen
Die in den letzten Jahren in Deutschland zugelassenen Hybridweizensorten gehörten zur Qualitätstufe B- bzw. C. Die in 2016 zugelassene Sorte Hyvento kombiniert erstmals die typischen Vorzüge einer Weizenhybride mit hoher Backqualität. Hyvento vereint den höchsten Ertrag im A-Segment mit hervorragender Blattgesundheit, stabilen Fallzahlen und sehr guter Mehl- und Volumenausbeute.
Fazit und Ausblick
Die Hybridweizenzüchtung und -vermarktung ist ein von der Linienzüchtung unabhängiges Segment. Zuchtfortschritt und Anbaupraxis von Hybriden werden in den Wertprüfungen und in der Beschreibenden Sortenliste naturgemäß nur unvollständig abgebildet; die Ergebnisse der auf den Hybridweizen abgestimmten Produktionstechnischen Versuche erhalten somit eine besondere Bedeutung.
Viele Forschungsvorhaben mit der Beteiligung zahlreicher Züchtungsunternehmen spiegeln das große Interesse an Hybridweizen wider. Verbunden mit erhöhten Investitionen der Unternehmen in Hybridweizen-Zuchtprogramme ist zu erwarten, dass die Zahl der zugelassenen Hybridweizensorten in den nächsten Jahren ansteigen wird.
Für den Praktiker bedeutet der Anbau von Hybridweizen zunächst erhöhte Investitionen in Saatgut und Technik. Durch die Dünnsaat und die hervorragenden Eigenschaften der Hybriden wird dieser Aufwand aber kompensiert – am Ende sorgt das Gesamtpaket „Hybridweizen“ auf den prädestinierten Standorten für mehr Ertrag und Sicherheit!
*siehe auch praxisnah 2/2017, „Das muss ein Prüfsystem leisten“
**Details hierzu wurden bereits in der praxisnah 2/2017 (S. 6–7) publiziert.